William Kentridge im Martin-Gropius-Bau

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Zwischen Posie und Politik: Die Werke des südafrikanischen Multimediakünstlers William Kentridge sind seit kurzem im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen.

Der Titel der Ausstellung „No it is!“ trägt – Nein? Doch, ja! Die vorangestellte Negation ist eine Redewendung aus Südafrika, einem Land, das den geraden Weg zum Ziel nicht kennt. Geboren und aufgewachsen in Südafrika erzählen seine Arbeiten von den Vorwärts- und Rücksprüngen seiner Heimat. Da fällt der Bezug zu Flucht, Migration, Diskriminierung die derzeitigen großen Themen Europas nicht schwer.

NO IT IS ! beschwört diesen Widerspruch in Bilder herauf. Die damalige Politik der Apartheid, Sklaventum, Armut, ja auch die Schönheit Afrikas, die wunderbare Musik werden in den ausgestellten Werken in Zeichnungen, Performances, ja multimedial – wie es heutzutage heißt – übersetzt.Wobei er nur auf die Tonwerte von Schwarz in Weiß setzt.

Video: Interview mit William Kentridge aus dem Jahre 2014

William Kentridge studierte Politikwissenschaften und Afrikanistik, wechselte dann zu den schönen Künsten. Er studierte Kunst in Johannesburg, später Schauspiel und Theaterwissenschaften in Paris. Seine Eltern kamen aus Litauen nach Afrika und engagierten sich damals als prominente Juristen in der Anti-Apartheid-Bewegung. Als einer der ersten weißen Anwälte verteidigte sein Vater die Aktivisten rund um Nelson Mandela. Daher sicherlich auch Kentridges Ansatz in der Kunst als Wahrheitfindungskommissionen seiner Heimat zur Aufklärung der Apartheid-Verbrechen.

Er ist nicht nur bildender Künstler, sondern auch Filmemacher, Regisseur, Schauspieler und ein großer Erzähler.

Das Spektrum der hier ausgestellten Werke reicht von klassischer Kohlezeichnungen über die berühmten Georges Méliès gewidmeten Animationsfilme von 2003 und Drawings for Projection (1989 – 2011) bis hin zu dem monumentalen filmischen Fries More Sweetly Play the Dance (2015) und der Rauminstallation The Refusal of Time, (mein Lieblingsteil der Ausstellung) die 2012 erstmals auf der documenta zu sehen war.

Bei aller Traurigkeit – die Musik, das Tempo der Veränderungen reißen jedes Mal mit. Über fünf riesige Tableaux erstreckt sich die Prozession vor einem mit Kohle gezeichneten Landschaftshintergrund. Die lebensgroß projizierten Figuren tanzen einen modernen Totentanz, deren dunkle Silhouette durch die leicht farbige Kleidung Körper-Volumen gewinnt. Sie zerren an Karren, drehen sich im Kreis auf ihrem Weg, führen Luftkämpfe aus, tragen wie Palmwedel die Schattenrisse von Helden-Porträts. Die als Arbeiter, Hausmädchen, Sekretärin angelegten Typen stehen für den afrikanischen Befreiungskampf, doch repräsentieren sie den Wunsch aller Menschen auf Gleichberechtigung – nicht erst im Angesicht des Todes. Der Titel übrigens stammt aus Paul Celans bekanntem Gedicht „Die Todesfuge“: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“.

Es ist ein wunderbares Schattentheater wo Licht und Dunkelheit sich abwechseln. Kentridge hat hier eine zutiefst humanistische Botschaft ins 21. Jahrhundert übersetzt.

Im ersten Raum der Ausstellung erwarten uns gleich mehere Videoinstallationen. Kentridge hat Georges Méliès’ „Reise zum Mond“ von 1902 adaptiert. Hier tritt er nun selber als Reisender im adaptieren Video auf. Dem Filmpionier sind drei Videoarbeiten im Entree gewidmet ist. In Kentridge’s Version dient als Rakete eine Espressokanne, als Fernrohr die Mokkatasse, als Mond die Untertasse. Man muss wissen, dass Kentridge ein leidenschaftlicher Kaffeetrinker ist und so gehört die Expressekanne auch im Selbstporträt dazu.

Ob Tinte oder Kaffee, beides sind Kraftstoffe des künstlerischen Schaffens, alles spielt mit, wird Schrift, wird Bild, verwandelt sich zu immer neuen Scherenschnitt-Figuren. Für Kentridge ist es genau diese „Unordnung, das Nachdenken, das Scheitern und all die anderen Dinge, die zum Entstehen des Bildes geführt haben“.

„Wunderkammer“ bezeichnet zwei Räume der Ausstellung, die uns einen Blick in das Atelier des Künstlers in Johannisburg werfen lassen. Sie gleichen auch ein bisschen jenen fürstlichen Wunderkammern aus dem 17. Jahrhundert – mit ihrem technischen Gerät, Zeichnungen, Grafiken, Skulpturen, persönliche Sammelstücke des Künstlers, darunter Radierungen von Goya, Dürer und Hopper.

Angefangen hat Kentridge mit grob skizzierten Kohlezeichnungen. Er entwickelte sie weiter, indem er sie filmt. Schritt für Schritt bringt er jedes Bild in Bewegung. Da wird mit einem Federpuschel großzügig „gezeichnet“, mit Tusche und einem Lappen gewischt. Man muss es live sehen, wie die Motive in Bewegung geraten und am Ende in einen animierten Film fließen. Rückläufe, Überblendungen und Übermalungen gehören zu seinen Tricks. Der Faszination kann man sich kaum entziehen.

Die jüngsten Documenta-Arbeit folgt im nächsten Raum – „The Refusal of Time“ von 2012. Wieder ist Kentridge der Hauptdarsteller und sein Studio die Filmlocation. Ein hölzerner Webstuhl in der Raummitte, Symbol für Industrialisierung und Effizienz, gibt mit seinen Bewegungen symbolisch das Diktat der Zeit vor, gegen die Millers Musik mit der Polyrhythmik Afrikas opponiert.

Die Performerin Dada Masilo demonstriert in der großen Installation, wie man sich nicht nur der Zeit, sondern auch der Wirklichkeit verweigern kann. Der Liebhaber vor dem Ehemann wird einfach unter einer Tischdecke versteckt und, schwupps, ist er im nächsten Bild auch schon verschwunden.

William Kentridge glaubt an die Kraft der Kunst

William Kentridge glaubt an die Kraft der Kunst: als Überwinderin von Zeit und Raum und todtrauriger Realität. Überall entdecken wir jede Menge künstlerische Anleihen aus Europa: Picassos frivolen Faun, Goyas Königin, Dürers „Rhinocerus“. Albrecht Dürer & William Kentridge in Double Vision siehe hier>>


Höhepunkt die 44 Meter lange Filminstallation „More Sweetly Play the Dance“ im großen Saal.

Mehr Kunsterlebnisse mit William Kentridge gibt es ab 5. Juli. Puppenspiele, Liederabende, „Drawing Lessons“ sind im Rahmen des Festivals „Foreign Affairs“ im Haus der Berliner Festspiele zu sehen. Bei Dunkelheit wird dann dort die Afrika-Prozession an der Fassade „entlanglaufen“.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7,
12. Mai bis 21. August 2016; Mi bis Mo 10–19 Uhr.