Besuch der Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ im Gropius Bau Berlin: Internationale Künstler*innen interpretieren das Motiv des Gartens als eine Metapher für den Zustand der Welt, um die komplexen Zusammenhänge unserer chaotischen und zunehmend prekären Gegenwart zu erforschen.
Was ist ein Garten? Ein Blick in Wikipedia erklärt uns „Ein Garten ist ein abgegrenztes Stück Land, in dem Pflanzen oder Tiere vom Menschen in Kultur genommen und somit gepflegt (kultiviert) werden. Im Gegensatz zu Parks werden Gärten meist privat genutzt. Gärten werden nicht nur angelegt, um einen direkten Ertrag zu ernten (Nutzgarten), sondern auch um als künstlerischen, spirituellen oder therapeutischen Sehnsuchtsort zu dienen, oder auch der Freizeitgestaltung und Erholung, wie Zier- und Kleingärten.“
Neben der klassischen Deutung des Gartens als einem Sehnsuchtsort voll meditativer, spiritueller und philosophischer Möglichkeiten wird er in der Ausstellung als ein Ort der Dualität und des Widerspruchs begriffen: als ein Grenzbereich zwischen Realität und Fantasie, Utopie und Dystopie, Harmonie und Chaos, dem Ausgeschlossen – und dem Teilsein – ein Paradies, dem das bedrohliche Gefühl der Vertreibung innewohnt. Darum geht es in der Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ im Berliner Gropius Bau.
Kuratiert von Stephanie Rosenthal mit Clara Meister zeigt die Ausstellung noch bis 1. Dezember 2019 Werke von über 20 Künstler*innen, die das Motiv Garten hier auf ihre Weise interpretieren. Durch diese Vielzahl zeitgenössischer künstlerischer Positionen verhandeln die Werke den Garten der irdischen Freuden als soziale, politische und ökologische Phänomene wie Migration, Klimawandel, Kolonialisierung, Globalisierung, Kapitalismus sowie Gentrifizierung und zeigt Strategien, die den Garten subversiv instrumentalisieren und so zum politischen Nährboden formen. Gleichzeitig sind Werke zu sehen, die den Garten in seiner poetisch-sinnlichen Dimension erfahrbar machen: Immersive Installationen und Videoarbeiten, wie die von Korakrit Arunanondchai1, rufen eine intensive Naturfülle auf, verdeutlichen aber auch die Fragilität dieses paradiesischen Zustands.
1Korakrit Arunanondchai ist ein Video- und Multimediakünstler, der ursprünglich aus Bangkok stammt. Er pendelt zwischen Brooklyn und Bangkok.
Aber das ist nichts Neues! Seit Jahrhunderten arbeiten Künstler*innen mit dem Motiv des Gartens als Ort der Inspiration und kritischen Reflexion. So sehen wir in der Ausstellung auch ein Werk nach Hieronymus Bosch’s Triptychon „Garten der Lüste“ (Mitteltafel „Paradies“ ca. 1535–1550). Der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger deutetet die Mitteltafel als utopisches Traumbild eines Liebes-Paradieses. In der Tat zeigt Bosch hier ein fried- und freudvolles Beisammensein von Mensch und Tier im paradisischen Garten.
In der Zusammenführung vom Katastrophischen und Paradiesischen zeigt sich die Ausstellung von Hieronymus Boschs Triptychon Garten der Lüste aus dem 15. Jahrhundert inspiriert, auf das auch der Titel Bezug nimmt. Für sein Werk wählte Bosch einen konzeptionell polaren Ansatz, in dem Himmel und Hölle, Freude und Schmerz eng miteinander verbunden sind. Die in der Nachfolge Boschs im Zeitraum von 1535 bis 1550 entstandene Version des Garten der Lüste bildet daher einen Ausgangspunkt der Ausstellung und führt die Besucher*innen in die inneren Widersprüche des Gartens in der christlichen Tradition ein.
„Bei dieser Ausstellung bietet die Lage des Gropius Bau eine zusätzliche Ebene der Reflexion: Im Zuge der wechselhaften Geschichte Berlins befanden sich in der Umgebung des Hauses zeitweise Felder und Brachen. Der Tiergarten, der in unmittelbarer Nähe liegt und als öffentlicher Lustgarten im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde, konnte in der Nachkriegszeit von den Berliner Bürger*innen zur Subsistenzlandwirtschaft genutzt werden. Ab 1949 wurde er wieder als Park bepflanzt.“ – Stephanie Rosenthal
In der heutigen Zeit, die durch einen radikalen Klimawandel und Migrationsbewegungen bestimmt ist, wird der Garten als poetische Ausdrucksform zu einem Instrument, um unsere Gegenwart in all ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zu erkunden. Die Ausstellung reflektiert die Idee des Gartens auch politisch und aus unterschiedlichen kulturellen und philosophischen Blickwinkeln.
Neben dezidiert politischen Positionen stehen in Garten der irdischen Freuden Arbeiten, die den Garten auch in seiner sinnlichen Dimension erfahrbar machen – etwa in einer Installation „Mesk-ellil“ (2015) von Hicham Berradas, die den Rhythmus von Tag und Nacht verkehrt. Durch die Abdunklung des Ausstellungsraums verströmt Nachtjasmin seinen intensiven Duft. Hicham Berrada erschafft mit „Mesk-ellil“ ein lebendiges Ökosystem, dessen umgedrehter Tag-Nacht-Rhythmus eine Parallelwelt entstehen lässt.
Für „instagrammable moments“ in der Ausstellung sorgt die Künstlerin Yayoi Kusama, eine der bedeutendsten japanischen Künstlerinnen mit eigenem Museum, mit ihrem Markenzeichen den „Polka Dots“. Das Werk „With All My Love for the Tulips, I Pray Forever“ (2013–2019) zeigt einen Raum, der vollständig mit bunten Punkten bedeckt ist. Niedlich anzusehen, man entrückt in eine Art „Kinderwelt“ mit den überlebensgroßen Tulpen-Skulpturen. Was zunächst freundlich-verspielt wirkt, kann sich in eine zunehmend bedrohliche Umgebung verwandeln, die in ihrer Verzerrung Züge des Wahnhaften trägt.
Im Lichthof des Gropius Bau gruppiert Rashid Johnson (Rashid Johnson ist ein amerikanischer Künstler, der konzeptuelle Post-Black-Kunst produziert) Topfpflanzen in einem stählernen Gerüst und lässt diese in einen Dialog mit Objekten aus Shea-Butter, Aufnahmen von Johnsons früheren Performances sowie Publikationen zur Geschichte von Schwarzen Communitys in den USA treten. In diesem Kosmos aus Lebewesen, kulturellen Objekten, Klängen und Medien wird nicht nur der Gegensatz von Natur und Kultur untersucht, sondern auch die Frage nach Schwarzer Identität aufgeworfen.
Was sagt ein Garten über den Zustand der Welt? Die südafrikanische Künstlerin Lungiswa Gqunta kommentiert in ihrer Arbeit „Lawn I“ (2019) die Werkzeuge der Segregation und Unterdrückung im Kolonialismus, indem sie vertraute und häusliche Gegenstände verwendet, die in Kombination zu Waffen werden. Die scharfen kaputten Glasflaschen dienen in Afrika oft als Schutzwaffe auf Mauern befestigt für die eigenen Gärten.
Die Ausstellung im Gropius Bau geht noch bis zum 1. Dezember 2019. Mehr Infos gibt’s hier >>