Straßenmüll aus abgefeuerten Böller und Knallfröschen

Böllerwahnsinn zu Silvester: Wie lange wollen wir noch darüber diskutieren?

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Die Diskussion um ein Böllerverbot in Deutschland geht auch nach der Silvesternacht 2024/2025 weiter, während die Bilanz erneut erschreckend ausfällt. Fünf Tote, zahlreiche Verletzte und massive Umweltbelastungen prägen das Bild des Jahreswechsels.

Die Medien melden auch wieder über gezielten Beschuss von unbeteiligten Passanten und Einsatzkräften sowie hunderte Festnahmen. Die Silvesternacht 2024/2025 hat erneut gezeigt, wie dringend wir in Deutschland über ein generelles Umdenken beim Thema Feuerwerk sprechen müssen. Als Hundebesitzerin sehe ich jedes Jahr das gleiche Szenario: Panik bei Tieren, Angst bei Menschen, die durch unkontrolliertes Böllern gefährdet werden, und ein massiver Anstieg von Müll und Umweltverschmutzung. Da drängt sich mir jedes Jahr wieder die Frage auf: Wie lange wollen wir diesen Irrsinn eigentlich noch hinnehmen?

Die Diskussion um ein Böllerverbot in Deutschland flammt ebenso regelmäßig auf wie die Raketen, die am Himmel explodieren.

Die stille Qual der Tiere

Für viele ist der Jahreswechsel ein Grund zum Feiern, doch für Tiere bedeutet er puren Stress. Schon Tage vor Silvester beginnt das unkontrollierte Knallen, und auch Tage danach ist keine Ruhe in Sicht. Bei Hunden und Katzen löst vor allem der laute Knall Angst aus, denn sie haben ein viel empfindlicheres Gehör als wir Menschen. Deswegen können Geräusche, wie sie durch Silvesterböller, Heuler und Co. verursacht werden, bei vielen Hunden Angst oder sogar Panik auslösen.

Aber auch in der Natur belastet das Knallen die Tierwelt. Laut dem Deutschen Tierschutzbund ändern viele Tiere ihr normales Verhalten. Rehe, Hirsche und andere Wildtiere werden aufgeschreckt. Wildvögel steigen zum Teil in großer Zahl auf und können durch Angst und Stress die Orientierung verlieren, gegen Hindernisse fliegen und sich schwer verletzen oder sogar sterben. Vögel, die vom Feuerwerk aufgeschreckt werden, fliegen bis zu 1.000 Meter hoch, während sie sonst nur selten Höhen über 100 Meter erreichen. Dabei verlieren sie Energie, die sie im Winter dringend benötigen. Die Lichtblitze von Feuerwerken wirken dabei ebenso bedrohlich wie die Geräusche.

Nachdem ich dieses Jahr in meiner neuen Wohnung keinen ruhigen Ort gefunden habe, bin ich mit meinem Hund zum Flughafen Köln/Bonn geflüchtet – ein Ort, der tatsächlich Ruhe bot. Aber warum müssen wir solche drastischen Schritte unternehmen, um ein Mindestmaß an Sicherheit und Wohlbefinden zu garantieren?

Jährlich werden in Deutschland rund 2.050 Tonnen Feinstaub (PM₁₀) durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern freigesetzt, der Großteil davon in der Silvesternacht. (Bundesumweltamt)

Politik scheut klare Verbote. Warum?

Was besonders frustrierend ist: Wir haben die Daten. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass es auch anders geht, als Böllerverbote flächendeckend eingeführt wurden. Krankenhäuser, Feuerwehr und Polizei berichteten von erheblich weniger Einsätzen. Dennoch bleibt die Politik zögerlich. Warum eigentlich? Sind Traditionen wichtiger als der Schutz von Lebewesen und Umwelt? Oder fehlt schlicht der Mut, konsequent durchzugreifen, weil eine laute Minderheit ihre „Freiheit“ durch ein Feuerwerksverbot bedroht sieht?

Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt ein bundesweites Böllerverbot ab und findet es „irgendwie komisch“. Vorsicht, bloß nicht unpopuläres sagen – sind ja bald Neuwahlen. Innenministerin Nancy Faeser spricht sich auch gegen ein generelles Verbot aus und schlägt aber immerhin mehr lokale Verbotszonen vor. Das ist ja schon mal ein vernünftiger Vorschlag. 

Ein kompletter Bann ist nicht die Lösung.

Seien wir realistisch: Ein generelles Verbot ist nicht die Antwort. Darum geht es mir auch nicht. Feuerwerk hat einen kulturellen und emotionalen Wert für viele Menschen. Es geht um die Freude, das neue Jahr einzuläuten, und das sollte auch möglich sein – aber unter klaren Regeln. 

Warum schaffen wir nicht ausgewiesene Zonen, in denen kontrolliert geböllert werden darf? Orte, die weit genug entfernt sind von Wohngebieten, Krankenhäusern und Tierheimen. Gleichzeitig sollten alternative Feierformate gefördert werden – Lasershows, Gemeinschaftsaktionen oder andere kreative Ansätze könnten den Jahreswechsel nachhaltiger gestalten. Positive Beispiele gibt es bereits genug. „Leises Feuerwerk“ gewinnt an Popularität und könnte eine umweltfreundlichere Alternative darstellen.

Ja, die Feuerwerksindustrie oder die Pyrotechnikbranche ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in Deutschland. Sie sichert mehrere tausend Arbeitsplätze in Produktion, Handel und Logistik und für viele Einzelhändler ist der Feuerwerksverkauf ein entscheidender Teil des Jahresumsatzes. Doch auch sie muss sich an die Zukunft anpassen. Innovationen sind gefragt, die nachhaltig für Mensch, Tier und unseren Planeten sind. Es gibt hier keine Ausnahmen – alle müssen mitmachen. Die Feuerwerksindustrie hat das Potenzial, neue, umweltfreundliche Technologien und Konzepte zu entwickeln, die den Spaß am Feuerwerk erhalten, aber die Belastungen minimieren. Ein Fortschritt in diese Richtung würde nicht nur der Branche selbst, sondern auch der Gesellschaft als Ganzes zugutekommen.

Verantwortung statt Ignoranz

Warum schaffen wir keine ausgewiesenen Feuerwerkszonen? In diesen könnten Menschen ihrem Spaß am Böllern nachgehen, während gleichzeitig der Schutz von Tieren und Menschen gewährleistet wird, die nicht mitmachen wollen. Solche Zonen könnten kontrolliert werden, um illegale Feuerwerkskörper zu verhindern und Sicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig müsste das Böllern außerhalb dieser Bereiche streng verboten und überwacht werden.

Es ist Zeit, den Böllerwahnsinn zu beenden – nicht durch Verbote allein, sondern durch klare Regeln, die allen gerecht werden.

Die alljährliche Diskussion um die Böllerei zeigt vor allem eins: Eine grundlegende Reform ist überfällig. Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen wie ich mit ihren Haustieren flüchten müssen, während andere unkontrolliert ihr Feuerwerk zünden. Das Ziel sollte sein, einen Ausgleich zwischen Tradition und Verantwortung zu schaffen. Wer feiern möchte, soll das tun können – aber nicht auf Kosten von anderen.

Dazu brauchen wir auch eine Politik, die nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der Pyrotechnikindustrie im Blick hat, sondern die Rechte und das Wohlergehen aller – Menschen und Tiere – gleichermaßen. Es liegt an uns allen, Verantwortung zu übernehmen und die Politik zum Handeln zu bewegen. Lasst uns gemeinsam für einen Jahreswechsel eintreten, der alle feiert – ohne Angst, ohne Flucht, und ohne die Qual der Tiere. 

Wie lange wollen wir noch diskutieren? Lasst uns handeln – jetzt.

Hier ist ein kleiner Nachtrag: Die Initiative und Petition „Bundesweites Böllerverbot, jetzt!“, gestartet von der Gewerkschaft der Polizei Berlin, gerichtet an Iris Spranger, Senatorin für Inneres Berlin und Nancy Faeser, Bundesinnenministerin, bitte um unsere Unterschriften auf innn.it.

 


Titelfoto von Etienne Girardet auf Unsplash. Danke!