Julian Charriére. As we Used to Float.

in ART/CULTURE & PEOPLE by

Im Rahmen des GASAG Kunstpreises 2018 zeigt Julian Charrière in der Berlinischen Galerie eine multimediale Rauminstallation, die das Publikum unter die Wasseroberfläche des Pazifischen Ozeans führt.

70 Jahre nach den ersten US-amerikanischen Kernwaffentests auf dem Bikini-Atoll hat sich der Künstler auf Expedition in ein geographisches Gebiet begeben, das durch die verursachten Umweltschäden für den Menschen dauerhaft unbewohnbar gemacht wurde. „As We Used to Float“ zeigt die Hinterlassenschaften der Bombentests oberhalb wie unterhalb des Meeresspiegels und macht sie als Raumerfahrung physisch erlebbar.

Julian Charrière ist 1987 Morges in der französischen Schweiz geboren. 2006 begann er ein Kunststudium in der Schweiz. 2007 wechselte er an die Universität der Künste in Berlin, wo er 2013 sein Studium bei Olafur Eliasson am Institut für Raumexperiments abschloss. Für die oft aufwändigen Entwicklungsprozesse seiner Werke arbeitet Julian Charrière mit internationalen Wissenschaftseinrichtungen zusammen. Zu Beginn seiner Projekte stehen meist ausgedehnte Exkursionen. Sie führen ihn in abgelegene und bedrohliche Gebiete wie Eisfelder, Salzwüsten, Vulkane oder radioaktiv verstrahltes Terrain. Seine Arbeiten waren bereits in zahlreichen internationalen Ausstellungen zu sehen, unter anderem 2017 in der Hauptausstellung der Biennale in Venedig. Die Ausstellung in der Berlinischen Galerie ist seine erste institutionelle Einzelausstellung. 

Julian Charrière. As we Used to Float, große Halle Berlinische Galerie
All We Ever Wanted Was Everything and Everywhere, (2018)

Stahlglocke, Plastikbeutel mit Meerwasser, Subwoofer, Flaschenzugsystem, Sound: Edward Davenport.

Diese Arbeit ist einer historischen Taucherglocke nachempfunden. Sie wird mit einem Flaschenzug knapp über dem Boden gehalten. Als Gegengewicht dient eine Sammlung von Plastikbeuteln, die mit Meerwasser gefüllt sind. Aus der Glocke dringen über einen Subwoofer gedämpfte und verzerrte Atemgeräusche eines Tiefseetauchers. Das Prinzip einer Taucherglocke wurde erstmals 320 v. Chr. von Aristoteles beschrieben. Damit war der Mensch in der Lage, seinen Wirkungskreis in Bereiche auszudehnen, die ihm zuvor nicht zugänglich waren. Die Gefäßform erinnert aber ebenso an eine Kirchenglocke. Und auch die aus dem Inneren dringenden Atemgeräusche lassen sich neben ihrer tauchspezifischen Deutung der Sphäre des Glaubens zuordnen: In vielen Kulturen wird der Atem mit der Seele und mit Gott in Verbindung gebracht. Julian Charrière verbindet damit frühe wissenschaftlich-technische Methoden der Erforschung und Aneignung der Welt mit religiösen Vorstellungen und Ritualen zur Erfahrung Gottes und lässt beides auf dem Grund des Pazifischen Ozeans wie in einem großen Grab versinken.  

Pacific Fiction, 2016/18

Kokosnüsse des Bikini-Atolls in Bleisarkophagen 

Weiter hinten sim Raum bzw. vom Eingang der Berlinischen Galerie weiter vorne, sehen wir lauter Kokosnüsse, die aussehen wir Kanonenkugeln. Die Installation besteht aus schwach radioaktiv belasteten Kokosnüssen, die Julian Charrière auf dem Bikini-Atoll gesammelt und mit einer Blei hülle versehen hat. Die Bleiumfassung verhindert, dass die Strahlung nach außen dringt. Ihrer Form nach erinnern die eingefassten Kokosnüsse aber auch an Kanonenkugeln. Als ein für das Volk der Bikinianer*innen konzipiertes Monument entwirft die Arbeit ein Bild für die traumatische, koloniale Vereinnahmung und Veränderung der Region durch die US-amerikanischen Kernwaffentests. 

Besonders sehens- und hörenswert sich auch die Videoarbeiten und Soundgeschichten, die in der Ausstellung zu sehen und zu hören sind.

Video zur Ausstellung auf Youtube

Die Ausstellung zeigt die Hinterlassenschaften der Bombentests »oberhalb wie unterhalb des Meeresspiegels und macht sie im Ausstellungsraum physisch erlebbar. Als ungewollte Denkmähler stehen sie für das Spannungsverhältnis zwischen menschengemachten und natürlichen Entwicklungsprozessen. Für Julian Charrière markieren sie zugleich den Zeitpunkt, an dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren für die biologischen, geologischen atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. 

Die Eindrücke und Erfahrungen der Reise zum Bikini-Atoll schildern Julian Charrière und der Autor Nadim Samman in einem Buch. In einer Mischung aus Making-of, Reisetagebuch, Expeditionsbericht, wissenschaftlicher Recherche und philosophischem Essay beschreiben sie die geologische, soziologische und philosophische Dimension der US-amerikanischen Bombentests auf dem Bikini-Atoll. Zugleich schildert der Text aber auch minutiös die aufwändigen technischen Vorkehrungen und teils lebensgefährlichen Situationen, in die Julian Charriere und Nadim Samman bei dem Versuch gerieten, sich den realen Schauplätzen des Geschehens zu nähern. 

Hardcover-Schuber, 22 x28 cm, enthält: Taschenbuch „As We Used to Float“ (engl.), 152 Seiten, mit einem Text von Julian Charriere & Nadim Samman, 19,80 €
Julien Charrière (ganz rechts) bei der Pressekonferenz und Eröffnung seiner Ausstellung in der Berlinischen Galerie

Mehr zur Ausstellung / More about the exhibition: https://bit.ly/2wFY1Ir _____________________

JULIAN CHARRIÈRE AS WE USED TO FLOAT GASAG KUNSTPREIS 2018 27.09.2018–08.04.2019 #AsWeUsedToFloat #berlinischegalerie